Linda ließ es krachen
Von Boris Glatthaar
Sie kamen von ganz unten: Doch George Hurst hatte die richtigen Ideen und Linda Vaughn die nötigen Kurven, um aus einer einfachen Schaltknüppel-Schmiede einen der angesagtesten US-Auto-Veredler der sechziger und siebziger Jahre zu machen. Hurst Cars wurde zur Legende - und Linda zum ersten Boxenluder.
Als George mit 16 die Schule schmeißt, um zur Navy zu gehen, wundert das niemanden. Der Junge aus Pennsylvania gilt nicht gerade als Musterschüler, eher als einer, um den man sich sorgen muss. Wer George Hurst kennt, der weiß, dass er als Kind schon ständig den Unterricht vergaß, weil er mit großen Augen ehrfurchtsvoll um die neuesten T-Modelle auf den Garagenhöfen schlich.
Dass er heimlich an den Werkstätten in der Nachbarschaft herumlungerte, statt seine Hausaufgaben zu machen. Und dass ihn die neuartigen Sechszylindermotoren mehr interessieren als Algebra. Viel verwunderlicher als der Eintritt in die US -Marine scheint in jener Zeit, dass der 1927 geborene Junge überhaupt acht Jahre Schule durchgehalten hat.
Zwei Jahre später ist der Krieg gegen Deutschland gewonnen. George kehrt zurück in die Heimat und steht vor dem Nichts. Ein hemdsärmeliger Jüngling ohne Lehre und Studium, der lieber T-Shirts trägt als Anzug und Schlips, der wenig Geld hat und viel Zeit zum Träumen. Er sehnt sich nach großen Autos und starken Motoren, nach hohen Geschwindigkeiten und dem Duft von Benzin. Öl und Schmiere, das ist seine Passion.
Während andere junge Männer arbeiten und eine Familie gründen, lässt George keines der Beschleunigungsrennen aus, die Anfang der fünfziger Jahre als Drag Racing in Pennsylvania, New Jersey, Delaware und Maryland boomen. Quietschende Reifen und der Geruch von verbranntem Kautschuk auf dem Asphalt der Straße, dröhnende Aggregate und der Jubel am Rand der Strecken sind alles für ihn. Doch er fühlt sich nicht nur als Zaungast, der die Fahrer anhimmelt und von einer Karriere hinter dem Steuer dieser modernen Rennmaschinen schwärmt.
Er ist besessen von der Vorstellung, selbst alles aus den Wagen herauszuholen, sie leistungsfähiger, schneller, sportlicher zu machen. "George war wie alle von uns ein geborener Enthusiast mit einer wirklichen Leidenschaft für leistungsstarke Autos", sagte einmal Ed Almquist, einer der ersten großen Hot Rodder von Pennsylvania. "Und er startete mit nichts."
Aus dem Nichts macht George Hurst alles. Er hat viele Ideen, schließt Freundschaft mit Bill Campbell, einem Mechaniker von der Piste. Gemeinsam ziehen sie um die Häuser und durch die Fahrerlager, peitschen sich gegenseitig in ihrem Wunsch hoch, selbst ganz oben mitzumachen. George kommt mit einer Spinnerei nach der anderen, kreiert, träumt, phantasiert.
Neue Getriebe entwirft er in seinen Gedanken, Bremsen, Zylinder, ganze Autos entstehen in seinem Kopf. Irgendwann hat er Campbell so weit, eine seiner Phantastereien umsetzen. Nach Hursts Vorstellung baut der Mechaniker ein neues Chassis, das sofort einschlägt in den Rennsport-Lagern. George ist nicht viel älter als 20, als seine Konstruktion sich derart gut verkauft, dass ein kalifornisches Unternehmen tausende von Kopien auf den Automarkt wirft.
Bald können Hurst und Campbell mit ihrer kleinen Werkstatt nicht mehr mithalten. Es droht der Ruin. Doch George gibt nicht auf. Er sucht Hilfe und findet sie. Rennfahrer Ed Almquist, der gemeinsam mit seinem Partner Jonas Anchel ganz in der Nähe von Philadelphia die Firma Anco betreibt, lässt sich auf einen Deal ein. Mehr als hundert Erfindungen zur Erhöhung von Geschwindigkeiten hat Anco Ende der fünfziger Jahre schon entwickelt, und Almquist will, dass Hurst und Campbell für ihn ein neuartiges Auspuffsystem schmieden.
Doch George will etwas anderes. Seine neueste Idee ist die von den Schalthebeln. Bessere, leichtgängigere Gestänge als alle bisher da gewesenen, Austauschteile für Serienautos. Wieder schwärmt er und phantasiert, bleibt hartnäckig, bis er schließlich überzeugt. 1959 schaltet erstmals ein Fahrer am "Hurst Shifter".
Den Erfolg dieses verchromten Knüppels, mit dem sich die Gänge leichter und schneller einschieben lassen, und der auch noch formschön ist, will George nicht teilen. Er nabelt sich ab von seinem Retter Almquist, gründet die Hurst Performance Inc. und heuert Mitarbeiter an. Einer davon, Jack "Doc" Watson, ist ein Glücksgriff oder vielmehr: dessen Mutter. Sie sei es gewesen, heißt es heute, die das große Geschäft mit Pontiac einfädelt.
1961 wird Hurst Standard-Ausrüster für den Catalina, dann entwickelt die Firma besondere Reifen für die Serienversion des 1965er Pontiac GTO . Bald reicht die Werkstatt nicht mehr. Hurst kann es sich leisten, ein großes Center nahe der Autometropole Detroit zu bauen und als Reklame sogar kostenlose Reparaturen von Hurst-Zubehör anzubieten. Doch noch immer ist George nicht zufrieden. Er will, dass sein Name in einem Atemzug mit den großen Rennen des Landes genannt wird.
Linda Faye Vaughn wird geboren, als George gerade zur Navy geht. Ein kleiner blonder Engel, der im Sommer 1943 eine zerrüttete Familie vergrößert, die schon ohne das neue Baby kaum überleben kann. Mutter, Vater, eine große Schwester, kein Geld, keine Perspektive. Noch während der Schule jobbt Linda in einem Labor für Zahntechnik. Um die Familie zu ernähren, müssen alle mit ran.
Irgendwann, nach der High School, wird Linda fest im Labor angestellt, lernt den Beruf. Doch das Geld reicht immer noch nicht. Als die hübsche Blondine von einem Schönheitswettbewerb in der Nähe ihrer Heimatstadt Daton in Georgia hört, hofft sie auf das kleine Preisgeld. Viel ist es nicht. Aber Linda gewinnt, und die Sorgen sind kleiner. Sie macht weiter, und eigentlich geht es dem Mädchen nur um das bisschen Geld, das am Ende dabei herumkommt. Linda gibt alles. Denn zu verlieren, kann sie sich einfach nicht leisten. Sie ist gerade 18 Jahre alt, da siegt sie wieder.
Diesmal ist es der Titel "Miss Queen of Speed at Atlanta International Raceway", und als gekürtes Boxenluder muss sie umherziehen. Bei fast jedem Rennen im Süden der USA zeigt sie 1961 ihre anatomischen Vorzüge, in Charlotte, Darlington, Daytona, den Metropolen des Rennsports. Begeisterte Männer jubeln ihr zu, dafür zeigt sie ihre Kurven. Sie erkennt, dass es ein Geben und Nehmen ist zwischen ihr und dem Publikum: Für ihre Brüste im Bikini erhält sie jene Aufmerksamkeit, die sie zu Hause im Schatten ihrer großen Schwester niemals bekommen hat.
Und so greift sie zu, als ihr schon 1962 ein großer Autohersteller verspricht, sie zur "Miss Pontiac" zu machen, als sie nach einem weiteren gewonnenen Wettbewerb als "Miss Firebird" der Pure Oil Company durchs Land ziehen darf, und als das Magazin "Esquire" nicht irgendein Titelmädchen abdrucken will, sondern die Zahntechnikerin Linda Faye Vaughn aus Daton in Georgia.
Die Schaltknüppel-Lady geht auf Tour
Nun ist sie sich sicher. Niemand anderes als sie kann gewinnen, als sie 1966 von einem Model- Wettbewerb des "Hot Rod"-Magazins hört. Ein Auto-Veredeler aus Detroit, eine Schaltknüppelfabrik, sucht ein Mädchen, mit dem sich die Marke noch besser verkaufen lässt. Wie ST P will George Hurst es machen, jene Ölfirma, die mit Rennfahrer Andy Granatelly und Hunderttausenden von Firmenstickern seit 1964 nicht nur einen Schmierstoff sondern auch einen Kult schafft. Linda lässt sich ablichten und hängt 200 Mitbewerberinnen ab. "Als Miss Hurst Golden Shifter" tourt sie an der Seite von "Big Daddy" Don Garlits, dem Vater des Drag Racings, und Nascar-Fahrer Richard Petty durch die USA . Sie besucht Militärbasen in Vietnam und heizt den Soldaten ein.
Sie tritt in Fernsehsendungen auf und wird zum Covergirl Nummer 1 in der Racing-Szene. Bald schon ist Linda so gefragt, dass Hurst mehrere Doubles anstellen muss, um die Nachfrage zu befriedigen. George Hurst ist angekommen, wo er hin wollte. "Miss Hurst" hat die Marke zum Kult 02/08 MOTORAVER 035 gemacht, und nun schlagen die Aufträge nicht nur aus dem Rennsport, sondern auch für leistungsstarke Stock Cars ein. Doc Watson entwickelt im Auftrag von Jeep eine spezielle Version des Jeepster C101: Hurst-Schaltstangen, anderes Design, Tacho auf der Motorhaube. 1968 tritt Hurst Performance mit Oldsmobile an. Der Hurst/Olds auf Basis des Oldsmobile 442 wird zum Flagschiff der Detroiter Firma: silberschwarzer Anstrich, 390 PS, V8-Aggregat.
Nicht leistungsstärker, aber wesentlicher leichter als das Serienmodell, will jeder ihn haben. Zwar verlassen nur 515 der Wagen der ersten Generation das Werk. Schon ein Jahr später aber kommt die Neuauflage, bevor Hurst ab 1972 die Produktion des Wagens komplett von Oldsmobile übernimmt. Bis zu deren Stopp 1984 verfeinert Hurst immer weiter. Mehr Luxus, Vinyl- und Schiebedach, Klimaanlage und vieles mehr, immer eingebaut: die Hurst-Shifter. Auch an den seit 1961 gebauten Oldsmobile Cutlass, ein Mittelklassewagen, der seit 1967 als Hardtop Erfolg feiert und mit knapp 300 PS in der Supreme-Version daherkommt, legt Hurst Hand an, wie auch an jenem Wagen, der als Hairy Olds in die Geschichte eingehen sollte.
Es bleibt nicht bei Jeep und Oldsmobile. Auch AMC will seine Wagen nun von Hurst Performance Inc. veredeln lassen. Der SC /Rambler kommt 1969 als Sondermodell, mit 1512 Exemplaren vermutlich das einzige Serienauto, das für die NHRA , die US -Drag-Racing-Klasse, gebaut wird. Hurst entwickelt ein Vierganggetriebe, ein Differential und einen begrenzten Schlupf, Schwerlastbremsen sowie verstärkte Karosserieteile und starke Antriebswellen. Unter der Haube brummt ein 315 PS-V8. Im selben Jahr legt AMC außerdem den AMX zusammen mit Hurst auf. Nun ist es nicht mehr George Hurst, der nach Aufträgen suchen muss.
Miss Hurst wird zum Filstar
Während Linda Vaughn weiter bei allen wichtigen NHRA -, Nascar- und Sprint-Car- Rennen Werbung läuft für die veredelten Stock Cars, häufen sich bei Hurst die Aufträge weiter. Für Plymouth baut er 1968 den Barracuda mit einem leistungsstarken Motor zum "Hemi Under Glass" um, zu einem preisgünstigen Stock Car im Segment der Ponycars, in dem auch der Ford Mustang fährt. Kurz darauf folgt der Auftrag, den Plymouth Superbird zu veredeln und den 1970 Chrysler 300 Hurst zu bauen. Rennwagen auf Basis von Straßenmodellen, Muscle- Cars, wie George Hurst sie immer schaffen und damit berühmt werden wollte.
Für ihn läuft es gut. Die Rennsportgemeinde feiert den Performer, Hurst, ST P, die großen Rennen des Landes – alles ist eins. Doch sein früherer Entwicklungschef Bill Campbell, der noch immer Anteile an der Firma hält, will nicht mehr. Er verkauft seine Papiere an den Küchenhersteller Sunbeam Corporation – und der kommt mit George Hurst überhaupt nicht klar. Während Linda Vaughn erfolgreich weiter Reklame läuft für die Schaltstangen und Zubehörteile von Hurst und als "Miss Hurst" in mehreren Filmen zu sehen ist, muss George wieder einmal kämpfen. Es wird der erste Kampf, den er verlieren sollte. Die neuen Miteigentümer wollen weiteren Erfolg, auch jenseits des Automarktes, was zählt, ist Geld und nicht Begeisterung, und George bemüht sich, das Bare zu liefern.
Er bringt Ideen und Vorschläge, entwickelt sogar hydraulisches Rettungsgerät für die Feuerwehr. Auch das wird ein Erfolg, weltweit kaufen Wehren die Erfindungen des Autofreaks, eine eigene Firma entsteht daraus, auch sie trägt den Namen Hurst. Doch das nützt nichts. Der Küchenhersteller will George nicht mehr. Der Enthusiast mit seinen Ideen und dem starken Willen, sie umzusetzen, passt nicht ins Unternehmen. Die Zeiten, in denen Leidenschaft zählte, sind vorbei. Mitte der 70er Jahre setzen sie den Gründer von Hurst Performance vor die Tür. "Das hat er nie verkraftet", sagen Leute, die ihn kennen.
Seine Verzweiflung, heißt es, sei auch ein Grund dafür, dass George Hurst 1986 im Alter von nur 59 Jahren stirbt. "Die Hurst-Schaltungen waren der bestverkaufende Zubehör- Markt neben den Reifen", sagte Almquist. "Bill Campbell sagte mir, dass George sich wahnsinnig gut Dinge ausdenken konnte und ein brillanter Promoter war."
Sein genialster Werbezug macht nach seinem Tod weiter. Linda Vaughn steht mit Burt Reynolds vor der Kamera, macht die Rennfahrer- Lizenz, steigt zwischen 1983 und 1987 nur kurz aus der automobilen Welt aus, um dann wieder zurückzukehren als "Miss Hurst Golden Shifters". Bei der Mr. Gasket Performance Group, der Hurst Performances zu dieser Zeit mittlerweile gehört, wird sie mit offenen Armen empfangen. Sie tourt wieder durch die Renn-Metropolen, wird Vize-Präsident für Öffentlichkeitsarbeit bei Hurst, lässt sich feiern, gibt Autogramme.
Noch heute zehrt sie von ihrem Erfolg als "Miss Hurst Golden Shifter", von dem vermutlich bekanntesten Foto, als sie sich im goldenen Outfit an einem riesigen Schaltknüppel am Heck eines Oldsmobiles ablichten ließ. Noch immer ist sie blond und leicht gelockt, noch immer sind ihre Lippen mädchenhaft rot geschminkt, noch immer sind ihre Brüste in enge Bikinis gezwängt. Doch all das täuscht nicht über ihre Falten hinweg und über die 65 Jahre. Nicht darüber, dass es "Miss Hurst" nicht mehr gibt sondern nur noch Linda Vaughn. Und dass die Autos, die sie einst verkörperte, nur noch legendäre Vergangenheit sind.
Dienstag, 8. April 2008
TUNING-LEGENDE HURST
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